KREUZWEGANDACHT DER MÄNNERSCHOLA

St. Otto, Cadolzburg, 10.3.2024, 19.00 Uhr

Wir bitten um Beachtung: 
Alle Kreuzwegbilder von Corinna Smok © VG Bild-Kunst, Bonn 2024.

 

Orgeleinspiel mit Flöte (E. und B. Tasler)

Begrüßung/Hinführung:
Liebe Gemeinde,
Sie wissen, dass man mit einer Kreuzwegandacht den Leidensweg Christi, die via dolorosa, in unsere Zeit und in die jeweilige Gegend übertragen wollte. Die Gläubigen sollen dabei den Leidensweg Jesu betend nachvollziehen, wobei die Anzahl der Stationen zunächst gar nicht festgelegt war.
Zu jeder Zeit gab es Leidenswege und es gibt diese immer noch. Heute wird uns das vielleicht wieder mehr bewusst, wenn wir auf die vielen Kriegs- und Krisengebiete wie die Ukraine, Israel, Palästina, Afrika usw. schauen müssen. 
Auch wir in Deutschland haben mit der Shoah die dunkelste Zeit unserer deutschen Geschichte erleiden müssen. Damit verbunden war die Ermordung von jüdischen Mitmenschen und vieler Minderheiten, die nicht in das Weltbild der Nationalsozialisten passten. Dass es dazu in Europa nicht nur die ganz großen KZs gegeben hat, wie Auschwitz, Dachau, Buchenwald, ist uns erneut bewusst geworden, als wir im Jahr 2022 mit der Schola nach Hersbruck gefahren sind und das sog. Doggerwerk, eine unterirdische Produktionsstollenanlage für den Bau von Flugzeugmotoren, besichtigen wollten. Es wurde von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen mit einfachsten Mittel noch 1944 gebaut. Das Lager in Hersbruck, ein Außenlager des KZ Flossenbürg, war das drittgrößte KZ-Außenlager in Süddeutschland. Allerdings konnten wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass man dort am liebsten nichts mehr davon wissen wollte. Wir selber wollten aber an dieses dunkle Kapitel erinnern. Denn vielleicht ist es ja wahr, was die jüdische Tradition so formulierte: Das Geheimnis der Erlösung ist die Erinnerung.
Die in Fürth wohnhafte Künstlerin, Corinna Smok, hat auf einem Bildgrund aus Archivmaterial des Dokumentationszentrums in neun Bildtafeln einen Kreuzweg dazu geschaffen, einen „Hersbrucker Kreuzweg“, den wir jetzt gemeinsam begehen wollen und auf dem Menschen in die Leidensnachfolge Jesu gezwungen wurden.
Bezugnehmend auf den klassisch christlichen Kreuzweg wird das tägliche Leid in einzelnen Bildstationen - Hunger, Elend, Gewalt -, aber auch mit Momenten der Hoffnung - Beistand und Zuwendung - thematisiert.
Drei der bisher finanzierten Kreuzwegstationen (Ausgeliefert, Beistand, Hunger) konnten auf Initiative unseres früheren Pfarrers Wunnibald Forster finanziert und auf dem Privatgrund der katholischen Kirche Hersbruck aufgestellt werden. Auf dem Gemeindegrund von Happurg und Hersbruck wollte man sie anscheinend nicht aufgestellt haben. Sie befinden sich somit jetzt direkt am ehemaligen Häftlingsweg, den die Zwangsarbeiter täglich 5 km zu den Doggerstollen in Happurg gehen mussten. 
An sie in ihrem Leidensweg zu erinnern, der ja dem Leidensweg Jesu nachgebildet ist, war ein Anliegen für diese Andacht. Denn wir hoffen ja nicht vergeblich auf das, was der Apostel Paulus uns eingeschärft hat: Wir sind „Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.“ (Röm 8,17) 

Lassen Sie uns jetzt auf diesem Kreuzweg gehen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Bild 1: Kreuzaufnahme

Im Johannesevangelium lesen wir (Joh 19,14-18):
Es war Rüsttag des Paschafestes, ungefähr die sechste Stunde. Pilatus sagte zu den Juden: Seht, euer König!
Sie aber schrien: Hinweg, hinweg, kreuzige ihn! Pilatus sagte zu ihnen: Euren König soll ich kreuzigen? Die Hohepriester antworteten: Wir haben keinen König außer dem Kaiser.
Da lieferte er ihnen Jesus aus, damit er gekreuzigt würde.
Sie übernahmen Jesus. Und er selbst trug das Kreuz und ging hinaus zur sogenannten Schädelstätte, die auf Hebräisch Golgota heißt. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere, auf jeder Seite einen, in der Mitte aber Jesus.

Bildbetrachtung:
Corinna Smok, die Künstlerin, will mit ihrem ersten Kreuzwegbild an die Kreuzaufnahme Jesu erinnern. Die Verurteilung, mit der sonst ein klassischer Kreuzweg beginnt, war hier längst geschehen. Das Bild korrespondiert mit der Situation im Lager Hersbruck. eines der größten Außenlager des KZ Flossenbürg. Das Verbrechen der Häftlinge: Sie waren nach der nationalsozialistischen Lehre Untermenschen, verurteilt wegen ihrer politischen Überzeugung, ihres Glaubens und ihrer Herkunft. Das Bild zeigt einen Häftling beim Verlegen von Schienen für die Materialbahn, die zur Baustelle am Houbirg führte.  Die körperliche Anstrengung und die Qual, die dieser Häftling ertragen muss, ist am Gesichtsausdruck zu erkennen. Rost, Schweiß und Blut vermischen sich, umhüllen seinen Kopf und verschmieren den Plan des Barackenlagers, das links oben zu erkennen ist. Seine Hände umklammern eine Stange und mit vollem Körpereinsatz versucht er seine Arbeit zu erledigen. Die Arbeit nicht mehr leisten zu können führt in den sicheren Tod. Ca. 3900 Gefangene sterben innerhalb eines Jahres im Lager Hersbruck. Ihre Leichen wurden verbrannt im Wald bei Schupf und Hubmersberg (mehr als tausend Tote) oder in den Krematorien Förrenbach und Nürnberg. Im Hintergrund des Bildes ist Archivmaterial aus Hersbruck zu erkennen.  Rechts oben der Plan des Bauabschnittes B7 des Stollensystems und rechts unten eine Zeugenaussage.

 Wir wollen beten:
Gott, unser Vater, hilf uns, nicht nachzulassen im Einsatz für Frieden und Versöhnung. Gib uns Mut und Ausdauer, für Verständigung und Versöhnung zu kämpfen. Lass nicht zu, dass Menschen wegen Ihrer Herkunft und Ihres Glaubens um Ihr Leben fürchten müssen.

Darum rufen wir zu dir: Du sei bei uns… (GL 182, 1+2)

Bleibet hier... (GL 286)

Bild 2: Ausgeliefert

Im Markusevangelium lesen wir (Mk 14,41):
Und er kam zum dritten Mal und sagte zu ihnen: Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus? Es ist genug. Die Stunde ist gekommen; siehe, jetzt wird der Menschensohn in die Hände der Sünder ausgeliefert.
 
Bildbetrachtung:
Das Bild ist geprägt von dunkler Farbe in der oberen Hälfte, von blutigen Stellen im unteren Teil und der Darstellung eines Menschen in heller Farbe im Zentrum.
Ein Mensch, kraftlos, ausgemergelt und abgemagert, ist auf dem Boden zusammengesunken, angelehnt an eine Mauerbrüstung; bekleidet nur in dünner und zerlumpter Häftlingskleidung; barfuß kauert er auf dem Boden. Die weiße Kleidung zeigt an, dass dieser Mensch unschuldig in diese Lage geraten ist. Nur weil er einer falschen Religionsgemeinschaft, einer missliebigen Bevölkerungsgruppe oder einer fremden Nationalität angehört, hat man ihn der Willkür der Schergen ausgeliefert.
Die totale Erschöpfung ist ihm anzusehen: die Augen sind geschlossen, der Kopf ist auf die linke Hand gestützt. Auf seiner rechten Körperseite und an seinem Ohr blutet er – die Wunde ist nicht versorgt. Der große Blutfleck in der rechten unteren Ecke des Bildes lässt die Anordnung der Baracken des Arbeitslagers sichtbar werden. Auch das Dokument auf der linken Bildseite ist blutverschmiert. Im Hintergrund ist der Zaun des Arbeitslagers dargestellt.
Der rechte Arm ist nach oben gerichtet, ebenso die nach oben geöffnete Hand, die jedoch in dunklen Grautönen gehalten ist und leer bleibt. Stattdessen wird der Arm oberhalb des Handgelenks durch eine andere Hand mit eisernem Griff gehalten.

Wir wollen beten:
Guter Gott, wie hadern wir oft mit Dir, dem Schicksal oder anderen Menschen, wenn es nicht nach unserem Kopf geht oder wir nicht unseren Willen bekommen.
Um wieviel schlimmer ergeht es den Menschen, die aufgrund von Krieg, Vertreibung oder körperlicher Ausbeutung der Willkür anderer Menschen erbarmungslos ausgeliefert sind und nichts daran ändern können.
Erbarme Du dich ihrer, lindere Du ihre Not, stelle Du ihnen tröstende und helfende Menschen an die Seite, und bewahre uns davor, andere Menschen in eine Lage zu bringen, die das Gefühl des Ausgeliefertseins in ihnen hervorruft.
 
Darum rufen wir zu dir: Du sei bei uns… (GL 182, 1+2)

Bleibet hier... (GL 286)

Bild 3: Versklavt

Wir lesen im Buch Exodus (Ex 1, 8-14):
In Ägypten kam ein neuer König an die Macht, der Josef nicht gekannt hatte. Er sagte zu seinem Volk: Seht nur, das Volk der Israeliten ist größer und stärker als wir. Gebt Acht! Wir müssen überlegen, was wir gegen es tun
können, damit es sich nicht weiter vermehrt. Wenn ein Krieg ausbricht, könnte es sich unseren Feinden anschließen, gegen uns kämpfen und aus dem Lande hinaufziehen.
Da setzte man Fronvögte über es ein, um es durch schwere Arbeit unter Druck zu setzen. Es musste für den Pharao die Städte Pitom und Ramses als Vorratslager bauen.
Je mehr man es aber unter Druck hielt, umso stärker vermehrte es sich und breitete sich aus. Da packte sie das Grauen vor den Israeliten.
Die Ägypter gingen hart gegen die Israeliten vor und machten sie zu Sklaven. Sie machten ihnen das Leben schwer durch harte Arbeit mit Lehm und Ziegeln und durch alle möglichen Arbeiten auf den Feldern. So wurden die Israeliten zu harter Sklavenarbeit gezwungen.

Bildbetrachtung:
Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 kam in Deutschland ein neuer Reichskanzler an die Macht, der u. a. die Unterdrückung und Ausrottung der Juden sowie politischen Gegner verfolgte, damit sie seiner Machtgier nicht im Wege stehen.
Diese Unterdrückten wurden u. a. im KZ-Außenlager Hersbruck als Sklaven behandelt. Jeden Morgen mussten sie in einem 5 km langen Fußweg zu den Doggerstollen marschieren, um dann dort im Berg ein Stollensystem auszuhöhlen, in dem zukünftig Flugzeugmotoren gebaut werden sollten.
Den Stollenplan „Dogger“ hat die Künstlerin oben links mit ins Bild genommen, auch sind im Hintergrund weiter Schriften und Bilder von der umgebenden Landschaft zu erkennen. Im Vordergrund steht ein Mann, der mit einem Schaufelstiel andere Körper wegschiebt. Zwischen seinem Arm, Rumpf und dem Stiel ist ein schmerzverzerrter Kopf eingeklemmt. Ein weiterer Körper in Häftlingskleidung ist zu erkennen. Er hält ein Stück Brot in seinen Händen, von dem er etwas abbrechen möchte. An seinem rechten Arm ist noch eine Hand von dem anderen Häftling zu erkennen, mit der er sich festhält.
Während Graphit-Farbtöne das Bild auf der rechten Seite dominieren, so geht das Bild auf der linken Seite, die die Unterdrückung und Versklavung darstellt, in deutlich dunklere Farben über. Die rote Farbe deutet das Blut an, das sogar noch auf das letzte Essen tropft, das in der Hand gehalten wird. Hierdurch sollen die unmenschliche Unterdrückung und die Schmerzen der Häftlinge dargestellt werden.
Das Bild will an das große Leiden der Häftlinge erinnern und stellt eine Verbindung zum Weg Jesu zur Kreuzigungsstätte dar, auf dem Jesus mehrfach unter den Lasten und Leiden gestürzt war.
 
Wir wollen beten:
Gott, unser Vater, leider gibt es auch heute in der Welt noch viel Sklaverei und Unterdrückung, politisch oder auch religiös motiviert. Befreie die Machthabenden von ihren falschen Gesinnungen und befreie die Unterdrückten und Versklavten von ihren Unterdrückern. Wir bitten dich, dass jeder Mensch – unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht - in Freiheit leben darf.

Darum rufen wir zu dir:  Du sei bei uns… (GL 182, 1+2)

Bleibet hier... (GL 286)

Bild 4: Beistand

Im Johannesevangelium lesen wir (Joh 14, 26-28):
Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Frieden      hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht. Ihr habt gehört, dass ich zu euch sagte: Ich gehe fort und komme wieder zu euch. Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich.
 
Bildbetrachtung:
Das Bild wird eingenommen von drei Personen, die wir von hinten sehen.
Zwei Personen stützen eine Person in ihrer Mitte, die ihre Arme über deren Schultern gelegt hat und sich festzuklammern scheint.
Die Person in der Mitte hat einen unbekleideten, und dadurch sichtbar, sehr abgemagerten und ausgezehrten Oberkörper.
Ein blutroter Farbklecks in deren Kopfhöhe unterstreicht den Eindruck, dass es sich bei der mittleren Person um eine schwerverletzte Person handelt, die sich nicht mehr aus eigener Kraft auf den Beinen halten kann.
Corinna Smok hat hier eine alltägliche Szene im Arbeitslager Hersbruck dargestellt, wie sie von Zeugen und der dortigen Dokumentationsstelle beschrieben wird:
„Jeden Tag mussten die Häftlinge eine Strecke von etwa fünf Kilometern zurücklegen. Der Weg führte von den Baracken des Gefangenenlagers in Hersbruck zu den "Doggerstollen" auf dem Berg "Houbirg" oberhalb von Happurg. Bekleidet mit dünner Sträflingskleidung und Holzschuhen musste der Weg zweimal täglich bei jedem Wetter zurückgelegt werden.
Aus Zeitzeugenberichten erfahren wir weiter: Da die Anzahl der Häftlinge beim Morgen- und Abendappell gleich sein musste, mussten alle Häftlinge, auch die Kranken und sogar die Toten, am Abend von ihren Leidensgenossen zurückgebracht werden.“
Das Bild lehrt uns Beistehen – einen gemeinsamen Weg gehen – das Naheliegende tun – da sein füreinander, so wie es auf dem Kreuzweg Jesu vorgebildet war durch Veronika und Josef von Arimathäa.
 
Wir wollen beten:
Heiliger Gott, in unserer Not rufen wir zu dir, der du unser Beistand und unsere Stärke bist.
In Momenten der Unsicherheit suchen wir deine Weisheit und Führung. Gib uns die Gewissheit deiner Gegenwart, wenn wir durch Dunkelheit gehen. Sei unser Licht in den stürmischen Zeiten und führe uns auf sicheren Wegen. Sei bei denen, die sich allein fühlen, mit deiner Liebe und deinem Trost. Gib ihnen Mut, Hilfe anzunehmen und uns die Bereitschaft, anderen beizustehen. In deiner Barmherzigkeit finden wir Trost, in deiner Gnade erfahren wir Beistand.
Wir wissen, dass du uns hältst, wenn wir uns schwach fühlen.
Möge dein Geist uns leiten und deine Liebe uns stärken. Wir legen unsere Sorgen vor dich hin und vertrauen auf deine Hilfe.

Darum rufen wir zu dir: Du sei bei uns… (GL 182, 1+2)

Bleibet hier... (GL 286)

Bild 5: Hunger

Wir lesen im Psalm 146 (Ps 146,5-10):
Selig wer den Gott Jakobs als Hilfe hat, wer seine Hoffnung auf den Herrn, seinen Gott, setzt. Er ist es, der Himmel und Erde erschafft, das Meer und alles was in ihm ist. Er hält die Treue auf ewig. Recht schafft er den Unterdrückten, Brot gibt er den Hungernden, der Herr befreit die Gefangenen.
Der Herr öffnet die Augen der Blinden, der Herr richte auf die Gebeugten, der Herr liebt die Gerechten. Der Herr beschützt die Fremden, er hilft auch den Waisen und Witwen, doch den Weg der Frevler krümmt er. Der Herr ist König auf ewig, dein Gott, Zion, durch alle Geschlechter. Halleluja.
 
Bildbetrachtung:
Das Bild zeigt im Vordergrund eine geschundene Kreatur. In der linken, nach vorne gestreckter Hand hält sie ein Stück Brot.
In den schemenhaft dargestellten Zeitungsartikeln, auf der linken oberen Bildseite und unten in der Mitte, wird berichtet, wie 1944 die Bewohner von Hersbruck die Häftlinge täglich auf ihrem Weg vom Arbeitslager in Hersbruck zur Baustelle in der „Houbirg“ oberhalb von Happurg und zurück gesehen haben.Abgemagerte, unzureichend gekleidet, geschunden, die Blicke leer, die Augen tief in den Augenhöhlen liegend.
Manche Bürger hätten den Menschen gerne geholfen, zumindest etwas zu essen gegeben, aber dies war in diesem menschenverachtenden System unter Strafe strengstens verboten.
Wie in dem auf dem Bild nur undeutlich zu sehenden Zeitungsartikel beschrieben, kamen einige Bürger auf die Idee, Kinder mit Semmeln ins Lager zu schicken, in der Hoffnung, dass die Wachmannschaft den Kindern nichts tut.
Eine heute noch lebende 86-jährige Frau war eine dieser „Semmelkinder“. Ich sehe aber auch auf dem Bild hinter der geschundenen Kreatur den Schatten des Mannes ohne Gesicht. Im Vordergrund den hungrigen Mann mit dem Brot in der Hand, sein Schatten mit dem leicht geöffneten Mund schreiend nach Gerechtigkeit und gebrochen im Leid.
Dieser Tage wurde in Auschwitz ein Kunstausstellung von Gerhard Richter eröffnet und bei dieser Gelegenheit hat der 97-jährige Auschwitzüberlebende Martin Turski Folgendes gesagt: „Glauben Sie mir, die körperliche Folter war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war das, was in dir war, in der Seele, das Leid, das ist das Schlimmste.“
 
Wir wollen beten:
Gott, unser aller Vater, lass uns heute, viele Jahre nach Beendigung dieses Wahnsinns, neue und schlimme Strömungen, Zeichen aus unserer Zeit, erkennen. Lass uns entgegen der Aussage: „Hört mir doch mit den alten Geschichten auf, das interessiert doch keinen Menschen mehr“, in die Zukunft leben. Nur wer die Vergangenheit kennt und Lehren aus der Vergangenheit gezogen hat, kann die Zukunft gestalten.
 
Darum rufen wir zu dir: Du sei bei uns… (GL 182, 1+2)

Bleibet hier... (GL 286)

Bild 6: Leer

Wir lesen in der Offenbarung des Johannes (Offb 20,11-13):
Dann sah ich einen großen weißen Thron und den, der auf ihm saß; vor seinem Anblick flohen Erde und Himmel und es gab keinen Platz mehr für sie. Ich sah die Toten vor dem Thron stehen, die Großen und die Kleinen. Und Bücher wurden aufgeschlagen; und ein anderes Buch, das Buch des Lebens, wurde geöffnet. Die Toten wurden gerichtet, nach dem, was in den Büchern aufgeschrieben war, nach ihren Taten. Und das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren; und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus, die in ihnen waren. Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Taten.

Bildbetrachtung: 
Warum „Leer“?
Die Augen des Gefangenen sind leer, ausdruckslos, müde, sein Körper ist ausgezehrt, geschunden von der Arbeit im Stollen, kraftlos oder doch mit letzter Kraft einen Verletzten oder sogar schon toten Arbeiter hinter sich herziehend, dessen Kopf am unteren rechten Bildrand gerade noch zu sehen ist. Vielleicht geht dahinter die gleiche Kreatur, den Körper noch an den Armen haltend. Die Wangen des Trägers sind eingefallen. Keinerlei Farbe erkennt man in dem Menschen, nur Grau- bis Schwarztöne. Gleich wie Jesus schleppt dieser Mann sein Kreuz in doppelter Hinsicht hinterher, vielleicht ahnend, dass er selbst in den nächsten Tagen getragen wird. Im Hintergrund sieht man Zeitungsartikel über das KZ in Hersbruck, übermalt von den Strichen der Künstlerin. Alles bleibt blass. Wie kann man Leere beschreiben, muss man sie füllen, aber womit? Ein Leben hier wie auch ein Überleben ist nicht vorgesehen, die Zustände von Menschen, ohne Herz und von geisteskranken Hirnen geschaffen, lassen auch keinerlei Hoffnungsschimmer zu. Hier hören die Menschen auf, Mensch zu sein. Und all des Traurigen und Entsetzlichen nicht genug, gibt es auch Jahrzehnte danach Menschen in dieser Gegend, die offensichtlich „leer“ sind. Vielleicht ohne Seele, ohne Gefühle, ohne Verantwortung, ohne Empathie, die sich gegen ein Erinnern wehren. Vielleicht ist es auch bloß ein Schutz, um am wirklichen Leben nicht teilhaben zu müssen, zu können, zu wollen. Doch Leben ist Veränderung, Bewegung mit einem pulsierenden Herz. Vielleicht ist auch der Tod nur ein Innehalten in diesem immerwährenden Lebensrad. Und wer sich dem verschließt, der ist vielleicht im Leben bereits „leer“ und tot.
 
Wir wollen beten:
Gott, wie oft machen Menschen dich verantwortlich für den Zustand der Welt – sind schnell mit ihrem Urteil zur Hand; wie oft sehen Menschen ihre eigene Verantwortung nicht und laden sie auf andere ab. Wie schwer fällt es uns oft, mit Unannehmlichkeiten umzugehen, Unrecht beim Namen zu nennen, uns einzusetzen für andere. Wie leicht weichen wir solchen Belastungen aus und rechnen damit, dass andere für uns solche Probleme übernehmen. Oft erscheint uns unsere eigene Last als zu schwer und zu viel, so dass wir das womöglich größere Leid anderer gar nicht wahrnehmen. Manchmal könnten wir es, aber wir haben Angst oder es fehlt uns der Mut dazu.
 
Darum rufen wir zu dir: Du sei bei uns… (GL 182, 1+2)

Bleibet hier... (GL 286)

Bild 7: Letzter Halt

Im Lukasevangelium lesen wir (Lk 23,39-43): 
Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Christus? Dann rette dich selbst und auch uns!

Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen.
Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.
Dann sagte er: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!
Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.
 
Bildbetrachtung: 
Die Künstlerin schreibt zu diesem Bild: „Wenn die Kraft schwindet, gibt es nur noch wenige Dinge, die uns halten und an die wir uns klammern können. Der letzte Griff nach dem Kameraden, der letzte Blick auf den Horizont - die letzte Hoffnung.“ Soweit Corinna Smok.
Es ist der Moment des Sterbens, der dargestellt wird. Der eine liegt gebrochen auf dem Boden, und man kann nicht erkennen, ob er bereits tot ist. Der andere hält Ihn in einer letzten Geste der Menschlichkeit.
Sein Blick geht zu den Baracken, in denen sie leben und auf den Weg, den sie gehen müssen zu dem Berg, den man im Hintergrund sieht und den sie aushöhlen sollen.
Man erkennt die Häftlingskleidung. Der Kopf zeigt fragend nach oben. Die Häftlinge sind in Grautönen dargestellt. Im Hintergrund sind zwei Bilder erkennbar: Das linke zeigt einen Berg, das rechte das Barackenlager.
Einige Dokumente, mit Schreibmaschine geschrieben, sind noch erkennbar, jedoch ohne, dass der Text lesbar ist. Der kniende Häftling ist noch von einigen braunroten Streifen umgeben. Diese erinnern an getrocknete Blutstreifen.
Das linke Bild neben dem Kopf des knienden Häftlings ist teilweise mit schwarzen Strichen unkenntlich gemacht. Vielleicht auch die Andeutung des Lagerzauns.
 
Wir wollen beten:
Herr, auch wenn wir verzweifelt sind, wissen wir, dass wir auf dich vertrauen können. Denn du bist unser liebender Vater und wir können mit all unseren Ängsten, Zweifeln und Hoffnungslosigkeit zu dir kommen.
Herr, auch wir hoffen in unserer letzten Stunde auf jemanden, der uns begleitet und hilft, unserem Glauben treu zu bleiben. Sei bei uns alle Tage, wie du es uns versprochen hast.
 
Darum rufen wir zu dir: Du sei bei uns… (GL 182, 1+2)

Bleibet hier... (GL 286)

Bild 8: Ohne Titel

Der Psalmist hält Klage über die Toten (Ps 88,11-14a):
Mein Auge erlischt vor Elend. Den ganzen Tag, HERR, ruf ich zu dir, ich stecke nach dir meine Hände aus.
Wirst du an den Toten Wunder tun, werden Schatten aufstehn, um dir zu danken?
Erzählt man im Grab von deiner Huld, von deiner Treue im Totenreich?
Werden deine Wunder in der Finsternis erkannt, deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens?
Ich aber, HERR, ich schreie zu dir um Hilfe …

Bildbetrachtung:
Unschuldig Ermordete, noch am Galgen des Geländes Hängende lassen uns ohne Trost zurück. Unser Blick ist gesenkt; wir schauen nur noch auf die Füße der Getöteten. Ihre Unschuld zeigt sich in den weißen Gewändern. Und sie sind nicht die einzigen. Ganze Listen von Namen zeigen auf bereits Verurteilte, die dieses Unmenschliche noch vor sich haben oder bereits ermordet wurden und deren Blut die Erde rot färbt. Und sicher werden andere gezwungen, dem Ganzen zuzusehen. Es findet ja öffentlich im Lager, das im Hintergrund sichtbar ist, statt. Das Kreuz, der Gekreuzigte, heute mittendrin. Noch im Tode am Galgen treten sie seine Nachfolge an. Aber unsere Klage schreit zum Himmel: Warum hast du das zugelassen? In dieser Finsternis des Lebens schwinden die Gedanken. Welche Worte sollen das noch ausdrücken können?
So bleibt als Überschrift nur das Nichts: Ohne Titel.

Aber totschweigen wollen wir die Geschehnisse deswegen noch lange nicht. Nicht in Happurg, nicht in Hersbruck und auch nicht anderswo. Das wäre ein zweiter Mord an den Getöteten. Ihre Schatten werden aufstehn, und Gott wird an ihnen Wunder tun.
 
Wir wollen beten:
Gott,
wenn die Tiefen im Schattenreich des Todes kein Trost mehr erreicht, dann erreiche deine Treue uns alle. Lass den Glauben nicht von uns weichen, dass du allein es bist, der Leben spenden kann und keine Freude hat am Tod.
Bleibe daher bei uns, auch wenn die Nächte des Lebens kommen und unsere Hoffnungen klein werden. Schenke allen unschuldig Leidenden deine Nähe und lass die Ermordeten des KZ Hersbruck leben bei dir in deiner Fülle, so wie du es uns gesagt hast.
 
Darum rufen wir zu dir: Du sei bei uns… (GL 182, 1+2)

Bleibet hier... (GL 286)

Bild 9: Den Lebenden und den Toten

Wir lesen im Buch Kohelet (Koh 4,1-3):
Dann wieder habe ich alles beobachtet, was unter der Sonne getan wird, um Menschen auszubeuten. Sieh, die Ausgebeuteten weinen und niemand tröstet sie; von der Hand ihrer Ausbeuter geht Gewalt aus und niemand tröstet sie.
Da preise ich immer wieder die Toten, die schon gestorben sind, und nicht die Lebenden, die noch leben müssen.
Glücklicher aber als beide preise ich den, der noch nicht geworden ist, der noch nicht das schlimme Tun gesehen hat, das unter der Sonne getan wurde.

Bildbetrachtung:
Dieses neunte Bild ist zugleich das letzte dieses Hersbrucker Kreuzweges. Und es will nicht nur an die vielen Toten erinnern; es ist auch den Lebenden gewidmet, die das Leiden überlebt haben und übriggeblieben sind. Ob sie noch in Liebe umarmt werden können? Schwer traumatisiert und an Seele und Körper verletzt kommen sie nach Hause. Aber was heißt das schon, nach Hause zu kommen. Ist dort jemand übriggeblieben, erwartet sie dort jemand? Und kann er noch in die Arme genommen werden oder erwarten wir nur noch sein Begräbnis? Das Bild: auch eine Pieta, zweifach sogar, eine mater dolorosa wie Maria. Mit dem Tod Jesu wartet auf sie nur noch der Weg zu seinem Grab. Und selbst der muss von den Römern in erniedrigender Weise erbeten werden. Ein scheinbar letzter Weg mit ihrem Sohn. Heimkehr ausgeschlossen.
Auf dem Bild hier erkennen wir ein paar Namen derer, die von solchem Elend betroffen waren und sind. Auch der Name Jean Jamain ist zu finden, dessen Schicksal Corinna Smok über seinen Sohn Jacques Jamain kennengelernt und sie zu diesem Bild inspiriert hat, das sie allen Opfern der Konzentrationslager widmet.
Die Dichterin Mascha Kaléko hat einmal versucht, solches, das eigentlich sprachlos und stumm macht, mit ihrem Gedicht Memento in Worte zu fassen: 

„Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur von dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

 Allein im Nebel tast ich todentlang
Und laß mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
- Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben.“
(zit. nach: https://www.maschakaleko.com/memento, 5.2.2024)

Wir wollen beten:
Gott,
du wolltest den Menschen als einen liebenden Menschen. Aber so ist der Mensch nicht.
Nur: er darf auch nicht so bleiben, wie er geworden ist.
Erinnere uns daher immer wieder an dein Gebot, den Nächsten, jeden Mitmenschen, zu lieben und nicht zu vergessen, was du deinem Gebot hinzugefügt hast: denn er ist wie du. Der Nächste ist ebenso schlecht wie wir, aber auch genauso gut wie wir.
Lehre uns wieder bedenken, dass jeder Mensch ein Bild von dir sein soll – oder es doch werden soll.

Darum rufen wir zu dir: Du sei bei uns… (GL 182, 1+2)

Bewahre uns, Gott (GL 453,2+3)

Gebet der Gemeinde:
Herr, angesichts der vielen Verbrechen vergangener und gegenwärtigen Zeiten schauen wir auch auf deine alles erduldende Liebe. Was musstest Du, was mussten Menschen alles ertragen! Wir selber können da nur still werden, wenn Menschen heute wieder so viel erleiden müssen. Sie trifft die Bosheit, der Hass und der Zerstörungswille ihrer Mitmenschen.
Herr, durch Dein Sterben, deinen Tod und deine Auferstehung schenkst Du uns trotz Schuld, Krankheit, Leid und Tod wieder neu Hoffnung und Gewissheit auf ein Leben, wie du es gewollt hast. Du allein bist unser Friede und Licht in allen Dunkelheiten unseres Lebens.
Segne und ermutige uns, selber Licht Deiner Liebe zu sein und zeige uns den Weg dahin.
Amen.

Segensgebet und Segen

Gemeindelied: Wir danken dir... (GL 297,1-4)

Orgel mit Flöte (E. und B. Tasler)

Wir danken Frau Smok für vielfältige Hilfestellungen zu ihren Bildern. 
Bitte Copyright beachten: Corinna Smok © VG Bild-Kunst, Bonn 2024.
Dank auch an Konrad Schimo für die Bereitstellung der nötigen Mittel.
Und für die musikalische Begleitung danken wir dem Ehepaar Tasler.

Gerne verweisen wir auf den Kunstwettbewerb "Erinnerungsräume KZ-Hersbruck".

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